Vom Ankommen und Bleiben

05. February 2019

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik

Bericht von der Jahrestagung Asyl des paritätischen Gesamtverbandes

Am Donnerstag und Freitag haben wir mit einer kleinen Delegation an der diesjährigen Jahrestagung Asyl des paritätischen Gesamtverbandes teilgenommen. Nach dem letzten Jahr ist es bereits unsere zweite Teilnahme. Mit rund 80 anderen Teilnehmern von Organisationen aus dem Bereich der Migrationsarbeit haben wir in Berlin viele spannende Vorträge gehört und an interessanten Workshops teilgenommen.

Die diesjährige Tagung fand unter dem Motto ,,Vom Ankommen und Bleiben'' statt. Es hört sich so einfach an – die Praxis zeigt leider eine ganz andere Realität. Die Zahl der Erstanträge auf Asyl in Deutschland sind im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent gesunken (160.000 Asylanträge in 2018). Die weltweite Zahl von Menschen auf der Flucht ist laut UNHCR dagegen auf ca. 70.000.000 gestiegen. So ähnlich beschrieb es auch der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, als er die vielen Teilnehmer im Akademiehotel in Berlin Pankow begrüßte.

Ankommen

Der erste Tag der Tagung fokussierte sich vor allem auf den Aspekt des Abkommens. In einem ersten Vortrag haben wir uns mit der aktuellen europäischen Asylpolitik beschäftigt. Auch wenn man vieles hier oder dort schon einmal gehört hat, ist die Entwicklung von der Willkommenskultur zur Abschottungspolitik ernüchternd und bedrückend. Die Schlussfolgerung des europäischen Rates sagt, dass man zurück zu einem Schengenraum ohne Binnengrenzen möchte. Um dies zu erreichen sind aus Sicht der EU vor allem zwei Maßnahmen nötig: 1. Die wirksame Kontrolle der EU Außengrenzen und 2. Die Bekämpfung illegaler Migration über alle bestehenden und neuen Routen. Die europäische Grenzpolizei FRONTEX wird zu diesem Zwecke von 1.600 auf 10.000 Mitarbeiter aufgestockt. Die Ausgaben in den Grenzschutz werden vervierfacht. So sollen zwischen 2021 und 2027 insgesamt 21 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Die Auswirkungen dieser Politik sind abzusehen. Der Schutzraum für Geflüchtete nimmt weltweit ab, denn schon jetzt leben 80 Prozent der Schutzsuchenden in Ländern des globalen Südens. Es besteht Nachahmungsgefahr für andere Staaten aufgrund fehlender Solidarität des wohlhabenden Europas und die Zukunft des Rechts auf individuelles Asyl steht ernsthaft in Gefahr. In einer humanitären und menschlichen Katastrophe finden die sogenannten europäischen Werte wenig Anwendung. Dies wurde vor allem im nächsten Vortrag deutlich, als Jana Ciernioch vom Verein S.O.S. Mediterranee noch einmal einen Einblick über die Arbeit der Seenotrettung gab. Durch unsere Veranstaltungen mit Jugend Rettet e.V. und den Seetembermonat in Flensburg haben wir uns schon viel mit dem Thema auseinandergesetzt – die Bilder und Informationen sind dennoch immer wieder grausam und nur schwer zu ertragen. Mittlerweile werden 85 Prozent aller in Libyen startenden Schiffe vom libyschen Grenzschutz abgefangen und zurück ans Festland gebracht, wo ihnen Folter oder sogar Versklavung droht. Die zivilen Seenotrettungsorganisationen werden derweil weiterhin in ihrer Arbeit behindert.

Immerhin gab es einen kleinen Lichtblick. Über eine Pressemeldung wurden wir darüber informiert, dass Flensburg sich nun aktiv für die Aufnahme Geretteter aus dem Mittelmeer anbietet und dieses dem Innenministerium mitgeteilt hat. Das Begrüßen wir und wir hoffen, dass dies so schnell es geht umgesetzt wird.

Wie sieht es mit der Entwicklung der legalen Zugangswege als Alternative aus? Schlecht! Zwar hat sich Europa bereiterklärt im Rahmen des Resettlemenprogramms für 2018 und 2019 insgesamt 50.000 Menschen aufzunehmen. Bei einem weltweiten Bedarf von 1.400.000 Schutzbedürftigen ist dies jedoch noch deutlich zu wenig. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige bleibt derweil extrem eingeschränkt, auch durch die langwierigen Verfahren und den hohen bürokratischen Hürden. Die Anzahl der humanitären Visa und Aufnahmeprogrammen sind verschwindend gering und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll nur für qualifizierte Kräfte gelten.

Der Weg nach Europa bzw. in ein sicheres und würdevolles Leben wird den Menschen so schwer wie möglich gemacht, damit die Zahl der Asylsuchenden auf europäischen Festland sinkt. Und es gelingt! Dabei wird zwar geltendes Recht verletzt, es werden Abkommen mit militärischen Regimes geschlossen und der Tod tausender Menschen in Kauf genommen – aber so lange die Zahlen zurück gehen, scheint man damit einverstanden.

Was zumindest etwas Hoffnung machen wird ist, dass es ein europäisches Relocation Programm zu Aufnahme der aus See geretteten Menschen geben soll. So sollen sich mehrere Staaten dafür bereiterklären, gerettete Menschen aus dem Mittelmeer nach einem Aufteilungsschlüssel aufzunehmen. So könnte hoffentlich die Arbeit der zivilen Seenotrettungsorganisation erleichtert werden, indem die Anfahrt von Sicheren Häfen in beispielsweise Italien wieder möglich wird und es nicht zu Szenen kommen muss, bei denen gerettete Menschen tagelang vor der Küste warten müssen, weil Europa sich darum streitet, wer die Menschen aufnehmen wird.

Bleiben

Am zweiten Tag der Tagung wurde der Schwerpunkt dann auf den Aspekt des Bleibens gelegt. Wie sieht es eigentlich für die Menschen aus, die es nach Deutschland geschafft haben? Wie steht es um die Möglichkeiten sich zu integrieren und auch wirklich anzukommen. Auch hier soll es deutliche Einschränkungen in den Möglichkeiten zu integrationsfördernden Maßnahmen geben und die '''freiwillige Rückkehr'' und Abschiebungen gefördert werden.

In einem Workshop zum Thema ,,unabhängige Asylverfahrensberatung'' gab es interessanten Input zur aktuellen Situation. Im Koalitionsvertrag steht geschrieben, dass es eine unabhängige Beratung zum Asylverfahren geben soll. In einem dreimonatigen Pilotprojekt haben die Spitzenverbände unabhängige Asylverfahrensberatung durchgeführt, mit guten Ergebnissen, wie uns berichtet wurde. Gute Ergebnisse heißt dabei schnellere Verfahren und eine höhere Akzeptanz der Entscheidungen durch die Menschen, sowie weniger Klagen gegen die Bescheide. Umgesetzt wird die unabhängige Beratung nun aber anders, nämlich durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, in den Ankerzentren und/oder den Erstaufnahmeeinrichtungen. Also eine unabhängige Beratung durch das Bundesamt. Geht das überhaupt? Wohl weniger! Ein genanntes Beispiel zeigte auf wie so eine ,,unabhängige Beratung'' aussehen kann. Ein 23 jährige Mann aus Tunesien hat in einem Ankerzentrum das besagte Angebot in Anspruch genommen. Bereits als er sagte, er käme aus Tunesien, wurde ihm vom Berater gesagt, dass er wenig Chancen hat, einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Unabhängig der Tatsache, dass er beispielsweise durch seine sexuelle Orientierung oder seinen Glauben große Probleme in seinem Herkunftsland haben könnte, wurde ihm von vornherein vermittelt, dass es keine Chance für ihn gibt. Das ist alles andere als unabhängig. Unabhängig bedeutet, sich die individuelle Geschichte des Menschen anzuhören, über das Verfahren zu informieren und die Menschen auf neutrale und vor allem ehrliche Weise auf das vorzubereiten, was sie erwartet. Auch die Tatsache, dass das Bundesamt keine 48 Stunden mit dem Erstinterview wartet, gibt den Menschen überhaupt keine Möglichkeit auf ein faires Asylverfahren. Jedem Menschen steht ein faires Asylverfahren zu und dafür ist eine unabhängige Beratung notwendig!

In dem Workshop ,,Freiwillige Rückkehr oder Abschiebung um jeden Preis?'' wurde dann noch einmal deutlicher, welche Bemühungen unternommen werden, um die Abschiebungen zu fördern und die Menschen zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen. Schon vor dem Bescheid des Bundesamtes wird bei Menschen damit geworben, freiwillig ins Herkunftsland zurückzukehren. Dafür gibt es sogar extra Förderprogramme wie z.B. Starthilfe Plus. Durch finanzielle Anreize sollen Menschen dazu bewogen werden, das Land zu verlassen. Und dann gibt es ja noch den Gesetzesentwurf von Horst Seehofer zum ,,Geordneten Rückkehrgesetz'''. 74 Seiten und 10 Artikel sollen dabei helfen Menschen einfacher abzuschieben, Sozialleistungen zu kürzen oder gar in Abschiebehaft zu nehmen. Ein Kernpunkt des Gesetzes ist die sogenannte ,Duldung Light'' -eine Duldung zweiter Klasse. Diese bezieht sich auf Menschen, denen die Unmöglichkeit einer Abschiebung ,,zuzurechnen'' ist. Diese sollen laut Gesetz nur noch eine ,,Ausreiseaufforderung'' erhalten. Mit diesem Status sollen nicht nur schärfere Arbeitsverbote gelten, es sollen ebenfalls alle Integrationsangebote verschlossen werden und nur noch die Nahrung, Unterkunft und Hygiene gestellt werden.

Mit dieser Regelung würde ebenfalls das Hineinwachsen in ein Bleiberecht nach §25a und b des Aufenthaltsgesetzes verhindert werden, welches erst 2015 in Kraft getreten ist. Für langjährig Geduldete schließt sich damit die Tür, unabhängig wie gut sie integriert sind oder wie lange sie schon in Deutschland leben.

Weiterhin gibt soll es bundesweit sogenannte ,,Reintegrationsscouts'' geben, welche sich mit den Herkunftsländern beschäftigen, um dort Zukunftsmöglichkeiten für Rückkehrer zu gewährleisten. Menschen sollen sich also reintegrieren, eine Chance sich bei uns zu integrieren wird aber nicht gegeben.

Wenn es darum geht Menschen abzuschieben oder sie dazu bewegen freiwillig auszureisen, ob durch finanzielle Anreize oder deutliche Einschränkungen in ihrem Leben, scheint es so, als ob der finanzielle Aufwand kaum eine Rolle spielen würde. Was könnte man mit dem Geld alles für Bildungs- und Teilhabeangebote schaffen, die Integration der Menschen fördern und den Menschen eine wirkliche Chance auf ein sicheres leben geben.

Abschluss

Am Ende der Tagung waren wir uns alle einig: Es hat sich für uns wirklich gelohnt nach Berlin zu fahren, um an der Tagung teilzunehmen. Wir haben viele wichtige und interessante Dinge gelernt. Vor allem hat uns gefallen, dass der Fokus der Tagung auf die politische und gesetzliche Entwicklung in Hinblick auf die Arbeit mit Geflüchteten gelegt wurden ist. Während wir täglich eng mit den Menschen zusammenarbeiten und nah an der Zielgruppe sind, bleibt oftmals wenig Zeit, um sich im Detail über die Entwicklungen der deutschen und europäischen Asylpolitik auseinandersetzen. Diese ist aber wichtig, denn unsere Arbeit kann durch die geplanten Gesetzte direkt betroffen sein. Es war schön sich mit anderen Menschen aus allen Regionen Deutschlands über die Arbeit auszutauschen und zu erfahren wie die Situation in andere Regionen wie z.B. Chemnitz, München oder Berlin ist. Bemerkenswert fanden wir, dass wir nahezu die einzige Organisation gewesen sind, welche mit ehrenamtlichen Helfern an der Veranstaltung teilgenommen hat. Letztendlich hat sich für uns herausgestellt, dass sich unsere Erfahrungen aus der praktischen Arbeit mit MigrantInnen mit den Erfahrungen der anderen TeilnehmerInnen decken – besonders herauszuhören war vor allem, dass das ehrenamtliche Engagement nach wie vor in hohem Maße benötigt wird.

Am letzten Tag haben wir uns dann zusammen Berlin angeguckt, haben noch einmal die Reste der Berliner Mauer an der Bernauer Straße besichtigt und haben den Abend bei einer gemütlichen Runde Skat bei einem Glas Wein ausklingen lassen. Es war ein tolles Erlebnis für uns, besonders auch als Gruppe. Nächstes Jahr kommen wir sicher wieder :).

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