Auf der anderen Seite

21. Februar 2018

Ein Bericht über die Situation Geflüchteter auf Chios.

Bei uns zu Hause macht man sich gerne über Donald Trump und seine Absicht eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu errichten, lustig und verurteilt diese Idee der Abschottungspolitik – zu Recht.

Aber für die hier lebenden Menschen ist das auch leicht gesagt, denn immerhin gibt es das Mittelmeer, Schutz-Patrouillen an der türkischen und nordafrikanischen Küste und nicht zuletzt Grenzen, Zäune sowie mittlerweile Grenzsoldaten, welche die Menschen davon abhalten, zu uns zu kommen, Asyl zu beantragen und ein Leben in Frieden und Sicherheit zu führen.

Eine physische Mauer aus Beton haben wir also nicht, aber irgendwie stehen wir dem Ganzen in Nichts nach. Trotz aller Hindernisse machen sich immer noch regelmäßig Menschen auf den Weg nach Europa, auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Verfolgung und Terror.

Meine Zeit auf Chios

Im vergangenen Sommer habe ich während meines Urlaubs in Izmir (Türkei) an der ägäischen Küste die griechische Insel Chios besucht, um mir einen Eindruck von der Situation der Menschen vor Ort und von der Arbeit der dort aktiven ehrenamtlichen Helfer zu machen.

Im Sommer 2016 war ich zum ersten Mal in Izmir. Zu diesem Zeitpunkt haben alleine über 100.000 Syrer in der Stadt gelebt. Ähnlich wie Flensburg das Tor zu Skandinavien darstellt, ist Izmir für viele Menschen eine Brückenstadt zu Europa. Genau genommen zu den griechischen Inseln. Chios liegt nur kurz vor der türkischen Küste und hat in etwa 60.000 Einwohner. Momentan leben 1500 Menschen mit Fluchthintergrund auf der Insel.

Auf Chios habe ich mich mit Ismail getroffen. Ismail ist 28 Jahre alt und kommt aus Spanien. Für seine ehrenamtliche Arbeit vor Ort hat er vor einigen Monaten seinen Job gekündigt. Er ist einer von aktuell 25 freiwilligen Helfern der Organisation „Chios Eastern Shore Response Team“ (CESRT).

Die Organisation wurde 2015 von der Griechin Pothiti Kitromilidi, einer alleinerziehenden Mutter, ins Leben gerufen, als täglich bis zu 50 Schlauchboote mit Menschen an der Insel ankamen. Alleine im August 2017 kamen über 600 Menschen auf der Insel an.

Eine Hauptaufgabe von CESRT ist es, die Menschen bei der sogenannten Landung (Ankommen) zu unterstützen. Dabei werden die Menschen mit Kleidung, Decken und Nahrung sowie psychosozialer Betreuung unterstützt.

Im Laufe des Tages hat mir Ismail dann noch die anderen Projekte der Organisation gezeigt. Neben einem Sprachzentrum, einem Kinder- und Familienhaus sowie einem Kreativ-Haus, in welchem verschiedene Aktivitäten und Projekte angeboten werden, betreiben die Ehrenamtlichen auch eine Kleiderkammer.

Ähnlichkeiten zu unserer Arbeit

Während mir Ismail über die Situation auf Chios und seine Arbeit berichtet hat, musste ich immer wieder an die Flüchtlingshilfe bei uns in Flensburg denken und Vergleiche ziehen.

Bis auf die Landung ähnelt sich unsere Arbeit sehr. Die Bedingungen, unter welchen diese erfolgt, sind allerdings ganz andere. Um ehrlich zu sein war ich über die Zustände und über das, was mir berichtet worden ist. schockiert und ich habe einmal mehr den Wert einer offenen und hilfsbereiten Gesellschaft, wie wir sie in Flensburg haben, erkannt.

Während wir gefühlt auf die Unterstützung einer gesamten Region zurückgreifen können, sind die freiwilligen Helfer hier zum großen Teil auf sich alleine gestellt und die Geflüchteten nicht selten mit Anfeindungen von der rechten Seite konfrontiert. Die ehrenamtlichen Helfer auf der Insel sind keine Einheimischen, sondern allesamt Menschen, die ihre Ferien nutzen, oder, wie Ismail, ihre Jobs kündigen, um vor Ort zu helfen.

Das gilt laut Ismail nicht nur für CESRT, sondern auch für alle anderen NGOs auf der Insel. Alleine während meines kurzen Aufenthalts habe ich Freiwillige aus Spanen, Marokko, Australien, Großbritannien und den USA getroffen.

Unterkunft und Verpflegung müssen die Helfer während ihres Aufenthalts selber tragen und sogar Autos werden aus privaten Geldern angemietet, um die nötige Mobilität zu schaffen. Die Helfer vor Ort sind auf sich allein gestellt und auf Spenden, vor allem aus dem Ausland, angewiesen. Sinnbildlich für diese großartige Eigeninitiative steht der selbstgebaute Kicker, welcher im Kreativhaus steht.

Unglaubliche Hilfsbereitschaft

Den auf der Insel lebenden Menschen mangelnde Hilfsbereitschaft vorwerfen? Das kann man wohl kaum, denn jeder Mensch leistet nur so viel, wie er kann und möchte. Dass viele Menschen auf der Insel durch die „Griechenlandkrise“ und die daraus entstandenen Folgen selber genug Probleme haben, ist kaum verwunderlich.

Hilfe aus der EU? Fehlanzeige! Das 2015 verabschiedete Relocation-Programm, mit welchem bis September 2017 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien auf die restlichen europäischen Staaten verteilt werden sollten, scheiterte kläglich an der mangelnden Solidarität anderer Mitgliederstaaten.

Konflikte auf der Insel

Vor allem im letzten Jahr kam es auf der Insel zu Protesten auf beiden Seiten. Geflüchtete protestierten gegen die Zustände in den Camps und gegen Deportationen. Einheimische protestierten vor den Camps gegen die Aufnahme von Geflüchteten und dafür, dass die Menschen aufs Festland gebracht werden sollten.

Trauriger Höhepunkt der Auseinandersetzungen waren Brandanschläge auf das Flüchtlingscamp Souda im November 2016. Ich habe mir das „Zeltcamp“ während meines Aufenthalts angesehen: Die Lebensbedingungen der Menschen habe ich als erschütternd empfunden – jeder dritte Geflüchtete auf der Insel ist mittlerweile Zeuge eines Suizidversuches geworden.

Weitermachen!

Mein Besuch auf der Insel Chios war für mich emotional und vor allem aufschlussreich in Bezug auf die Arbeit und Situation von Geflüchteten. Engagement und die Arbeit von den freiwilligen Helfern aus aller Welt sind beeindruckend und absolut vorbildlich in Sachen Menschlichkeit und Nächstenliebe.

Es war für mich wichtig, meine Erfahrungen in einem Bericht festzuhalten und darüber zu informieren. Denn auch wenn das Thema Flucht bzw. dessen Präsenz in den Medien in den letzten zwei Jahren stetig abgenommen hat, ist diese Arbeit nach wie vor von unheimlich großer Bedeutung – egal ob in Flensburg, Chios oder an jedem anderen Ort, wo Menschen auf Unterstützung angewiesen sind.

Weitere Informationen

Wer mehr über die Organisation „Eastern Shore Response Team“ erfahren möchte oder das Team unterstützen will, findet hier weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten.

Besonders im Winter werden Freiwillige gesucht, da man außerhalb der Saison wieder vermehrt mit ankommenden Booten rechnet.

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